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  • Sophie Roßberg

Die Erdbeerwochen sind vorbei – Warum tabuisieren wir die Menstruation?

Pssst, hast du vielleicht einen Tampon?“ – flüstert sie im Seminarraum ihrer Kommilitonin ins Ohr. Leise und unauffällig, keiner darf es hören. Viele Frauen versuchen, ihre Menstruation zu verstecken. Der rote Fleck in der Hose wird zum Schreckgespenst. Obwohl die Frau in ihrem Leben bis zur Menopause circa 2300 Tage blutet, bleibt die Periode fast unsichtbar. Mit der Menses verhält es sich wie mit der Bannmeile um den Deutschen Bundestag – Betreten verboten!

Ursprünglich sollte sich dieser Artikel an eine überwiegend männliche Leserschaft richten. Er sollte sensibilisieren. Bei der Recherche stellte sich stattdessen heraus, dass die Unwissenheit oder das bewusste Schweigen der Männer nicht das entscheidende Problem sind. Es sind die Blutenden selbst: die Frauen. Daher muss dieser Artikel einen Schritt weitergehen und sich an alle Geschlechter wenden. Denn das Tabu rund um die Menstruation hat viele Gender und beschränkt sich nicht auf einen Sexus. Vielmehr entwickelte sich in der Geschichte eine komplexe Tabuisierung, die es gilt, aufzudröseln. Zunächst scheint es wichtig zu erklären, was ein Tabu eigentlich ist.


Das Wort Tabu stammt aus dem polynesischen Sprachraum. Der Wortteil ta verbildlicht ein Attribut der Intensität. Der Suffix pu bedeutet ergänzend dazu das Gefährliche und Verbotene. Die Menschen nutzten den Begriff in einem religiösen, abergläubischen Kontext. Mit der Einführung des Wortes in andere Sprachräume verändert sich seine Bedeutung und Gebrauch. Das Tabu wurde zu einer Vorschrift, etwas nicht zu tun und/oder anzusprechen. Tabus sind sehr vielfältig. Die Gebote reichen vom Tabu des Tagebuchs der eigenen Geschwister, von der Verbannung bestimmter Wörter aus dem Sprachgebrauch, bis zur elterlichen Aufforderung, mysteriöse Schubladen oder Kisten in Ruhe zu lassen. Zu einem Teil regeln bzw. reglementieren Tabus das menschliche Miteinander. Aber sie ignorieren auch immer eine Realität, die vorhanden ist, die sekündlich passiert und die für den Menschen sichtbar ist. Im Laufe der Geschichte gab es viele Tabus, die heute weitestgehend normal erscheinen, z.B. die Lockerung von Kleidungsvorschriften auf einer Beerdigung. Leider haben sich einige Tabus tief in den Gehirnrinden vieler eingenistet. Über manche Themen redet man eben nicht, obwohl genau das die Tabus weiter fördert und nährt. Wie man eben nicht über einige Fetische spricht, so sprechen nur wenige öffentlich über die Menses – sexuelle Befreiung und Emanzipation hin oder her. Akademische Betrachtungen des Problems werden zwar immer zahlreicher, einige Wissenschaftler*Innen stoßen dabei jedoch auf taube Ohren. Wie beispielsweise Franka Frei, die 2018 ihre Bachelorarbeit zu den vorherrschenden Tabus rund um die Monatsblutung schreiben wollte. Zuerst weigerten sich die überwiegend männlichen Prüfer das Thema zu genehmigen. Mit einem Kommentar auf Facebook sticht Franka ins Wespennest und der Post wird über 20.000-mal geteilt. Am Ende bekommt sie eine Note von 1.3 und veröffentlicht ein Buch mit dem Titel „Periode ist politisch. Ein Manifest gegen das Menstruationstabu“. 1977 gründet sich The Society For Menstrual Research, um nur eine Institution zu nennen. Ihre Mission ist es, den wissenschaftlichen Diskurs zum Thema der Menses zu fördern.

Die nächsten Punkte beleuchten die Tabuisierung der Menstruation aus verschiedenen Perspektiven. Zuallererst: Wer hat’s erfunden? Die Frage nach dem woher führt weit in die Geschichte zurück. Bereits die Griechen stellten verschiedene, meist pejorative Theorien zum weiblichen Körper auf. Aristoteles z.B. vermutet, dass die Frau an einem Überschuss an Blut leide und die Blutung eine Selbstreinigung des Körpers sei. Laut der sogenannten Humoralpathologie, auch Säftelehre genannt, setzt sich der menschliche Körper aus vier Flüssigkeiten zusammen: Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und Schleim. Sobald die Säfte aus dem Gleichgewicht geraten, leiden die Betroffenen an diversen Symptomen. Das Plus an Blut zeugt also von der Inferiorität der Frau und kann sich u.a. in Hysterie äußern.


Ebenso interpretieren die mittelalterlichen Schreiber die Blutung. Schon mal aufgefallen: Maria blutet nicht. Sie empfängt Jesus Christus jungfräulich und entspricht auch sonst dem idealen Frauenbild der mittelalterlichen Theologen. Diese sehen im Körper der Frau eine Gefahr. Ihr Leitbild entspricht dem asketischen Leben ohne die irdischen Freuden. Unglückerlichweise finden sie im weiblichen Körper die Personifikation der Verführung. Immerhin ist Eva dem Teufel verfallen und verführt Adam, die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen. Die Ursünde lastet schwer auf den Schultern der Frauen. Die Misogynie gegen alles Feminine dauert über die Aufklärung hinaus an. In der Industrialisierung gilt die Periode als Symbol der verfehlten Aufgabe der Frau. Während die weibliche Arbeitskraft für den Aufschwung ausgebeutet worden ist, verschob sich die gesellschaftliche Rolle der Frau sukzessive – eine Gefahr für die Reproduktion des Menschen. Die Liste könnte ewig so fortgesetzt werden. Einen kleinen Lichtblick markiert 1958 die Entdeckung, dass Menstrualblut nicht giftig ist – Hallelujah!

Neben dieser absoluten ridikülen und überfälligen Diagnose fällt indes eins auf: Die Meinungen und Theorien bezüglich der Menstruation entstammen männlichen Köpfen. Es sind nicht die Frauen, die Angst haben, einen Überreichtum an Blut oder gar giftige Körperflüssigkeiten zu haben. Obwohl es ein rein weibliches Phänomen ist, bleibt die weibliche Stimme dementgegen stumm. Wer hat’s also erfunden? Die Männer, 1:0 für sie.

Die zweite Dimension des Tabus zeichnet sich in der Sprache ab. Wenn etwas nicht direkt genannt werden darf, suchen die Menschen nach euphemistischen Sprachmanövern, um das Mienenfeld möglichst unbeschadet zu umgehen. In der medizinischen Welt mögen solche Umschreibungen allgemein verbannt zu sein. In der Welt außerhalb der Kliniken und Praxen hat sich ein reiches Vokabular um die Menstruation etabliert. An dieser Stelle seien nur ein paar Highlights aufgezählt: Erdbeerwoche, auf der roten Welle surfen, los Wochos, Ferrari in der Tiefgarage und so weiter. Jede Frau und die Mehrheit der Männer wissen bei solchen Äußerungen wahrscheinlich sofort, was gerade zwischen den Beinen der Frau vor sich geht. Sehr frappierend ist die positive Konnotation vieler Begriffe. Bedenkt man, dass die Bezeichnungen rund um den Genitalbereich oft mit Scham verknüpft sind (Schamhaar, Schamlippe, Schambereich), haben die eben aufgezählten Begriffe schon etwas Befreites oder Niedliches.


Umkämpfter ist dagegen die Bezeichnung für das weibliche Genital. Die Künstlerin, Feministin und Pornodarstellerin Jenz Mau veröffentlichte 2018 ein Malbuch für Erwachsene. Ihre Motive setzen sich ausschließlich aus den Elementen Vulva, Blut und weiblicher Sexualität zusammen. Aus Hokusais berühmter Welle wird somit schnell ein Blutschwall, der zwischen den Beinen einer entspannt Knieenden entspringt. Auch die Künstlerin hat lange nach einem adäquaten Begriff für „ihr Unten“ gesucht. Letztendlich hat sie sich für Mau entschieden und ihr Buch Maubeschau getauft. Dabei sagt sie aber, dass jede selbst bestimmen kann wie sie ihre Mumu, Muschi, Vagina, Vulva, Scheide oder Möse nennen möchte – und wenn es Brigitte ist. Bei der Menstruation ist es im Grunde ähnlich. Aber da wäre noch das Tabu, das wie ein JVA-Beamter darüber wacht, dass die Periode unter Verschluss bleibt. Sollten wir also nicht den Elefanten im Raum benennen und von der Menstruation oder Monatsblutung sprechen?


Eins fällt auch auf. Alle Begriffe spielen mit der Farbe Rot. In der öffentlichen Wahrnehmung bleibt das rote Blut aber versteckt. Die Öffentlichkeit reagiert eher mit Entsetzen auf ein öffentliches Zeigen des Menstrualblutes. Wie z.B. im Fall der Musikerin Kiran Ghandi, die 2014 in London ohne Auslaufschutz einen Marathon läuft. Das Bild von ihren blutigen Leggings echauffierte. Bereits 1972 schuf die Künstlerin Judy Chicago die Installation Bathroom, die das zeigt, was hinter verschlossener Badtür geschieht. Zu sehen ist ein Badezimmer mit einer Toilette. Links davon steht ein Mülleimer vollgestopft mit blutigen Binden und Tampons. Darüber türmen sich auf einem Regal allerhand Produkte, die Frau so braucht: Tampons und Binden unterschiedlicher Marken, Slipeinlagen, Pillenpackungen und Tabletten gegen jegliche menstruelle Zipperlein. Diese Verpackungen wirken klinisch und geben keinen Hinweis auf ihren Inhalt. Diese optische Zurückhaltung ist so raffiniert, dass sogar das National Museum of American History eine eigenständige Rubrik für Verpackungen von Feminine Hygiene Products einrichtet und die Packungen sammelt. Rechts vom Klo hängen die blutigen Slips auf einer Leine. Es war ein Skandal. Obwohl das Thema Menstruation in den 70ern und 80ern viel diskutiert wurde, überstieg dieses reale Standbild alle Vorstellungen. Die Mehrheit der Frauen erkennt in der Arbeit von Judy einen Teil ihres Alltags. Immerhin kann eine ganze Badewanne mit dem Abfall von Hygieneprodukten, die eine Frau in ihrem Leben verbraucht, gefüllt werden. Solche Ausmaße stellen auch die Umweltverträglichkeit zahlreicher Produkte in Frage. Jedoch gesellen sich in heutiger Zeit noch weitere Motive zu Judys Badezimmer hinzu. Menstruationstassen im Topf, bereit zum Abkochen, müssen ebenso wie andere Alternativen hinzugefügt werden.


Die Werbung für solche Produkte zum „Schutz“ der Frau vor ihrem eigenen Blut verharren dagegen noch im letzten Jahrhundert. Die Saugfähigkeit von Tampons und Co. wird immer noch durch eine blaue Flüssigkeit visualisiert. Nur Grün könnte noch weiter vom Rot des Blutes entfernt sein. Es ist also befremdlich, wie Medien eine Schutzbedürftigkeit vor etwas versprechen, was sie gar nicht zeigen. Bereits jungen Mädchen wird bei ihrer Menarche die verheißungsvolle Nachricht überbracht, dass sie von nun an eine echte Frau sind. Ab dem Zeitpunkt X sollten sie eine besondere Hygiene beachten und viele Mütter präsentieren die Saughelfer ihren Töchtern wie auf einer Tupperwaren-Party. Viele Mädchen sind unzureichend aufgeklärt und wissen nicht, was sie erwartet. In den frühen Jahren der weiblichen Geschlechtsreife verfestigt sich der Wunsch nach Sicherheit und das Schamgefühl gegenüber dem eigenen Körper intensiviert sich. Das Tabu erfreut sich einer erneuten Wiedergeburt. Eine Studie von 2003 belegt, dass ein Drittel aller Frauen ihre Menstruation abschaffen will. Das Ergebnis mag auch 20 Jahre später ähnlich ausfallen. Die Industrie weiß auch dieser Sehnsucht entgegen zu kommen und brachte sogenannte lifestyle drugs auf den Markt, die ein Leben ohne Periode versprechen. Die Unterdrückung der Periode ist einerseits medizinisch fragwürdig und verfestigt außerdem die Idee, dass weibliche Körper ohne Menses weniger lästig sind.


Aufatmen können die Frauen in Deutschland seit Anfang 2020, als mithilfe einer Petition die Mehrwertsteuer für Hygieneartikel von 19 auf 7 % gesenkt werden konnte. 190.000 Menschen unterschrieben die Forderung „Die Periode ist kein Luxus”. Ein Triumph, der dennoch im Angesicht des betriebenen Aufwands und der angeblichen Gleichstellung von Mann und Frau einen fahlen Beigeschmack auf der Zunge zurücklässt.

Frauen müssen also noch weiter gegen dieses blaublütige Tabu kämpfen. Man bedenke jedoch, dass nur mithilfe der Menstruation ein Kind erzeugt werden kann. Die Periode ist nichts anderes als ein natürlich biologischer Prozess, bei der die Gebärmutterschleimhaut abgestoßen wird. Die Haut wird anschließend wieder neu aufgebaut. Diese Regeneration markiert den Beginn des weiblichen Zyklus‘. Wenn sich keine Eizelle nach der Befruchtung in der Haut einnistet, beginnt alles wieder von vorn. Der Kummer, den die Menses einigen Frauen mit dem sogenannten prämenstrualen Syndrom (PMS) bzw. seit 1985 bei ernsteren Beschwerden als PMDD (premenstrual dysphoric disorder) bezeichnet, wird oft als Infragestellen der weiblichen Autorität missbraucht. Solange die Vorstellung in den Köpfen sich nicht ändert, bleiben Sätze wie „Du bist heute so zickig. Hast du etwa deine Tage?“ gesellschaftlich akzeptiert. Auch Jenz Mau stören solche Kommentare. Auf einer Reise hat sie sich intensiv mit ihrem Körper auseinandergesetzt und eins festgestellt: Selbstakzeptanz ist der Weg zur blutigen Selbstliebe. Dabei soll eben ihr schon erwähntes Malbuch helfen. Immerhin haben Frauen genug Tage, um alle Bilder zu kolorieren – im Schnitt 2300. Sagen auch einige (ältere) Männer „Hä, wer braucht denn sowas?", ist das Buch ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Jenz berichtet, dass das Buch nicht nur von Frauen gekauft wird. Die Sexualpädagogik ist ebenso dankbar für ein solches Malbuch. Das Plädoyer der Malerin fasst eigentlich auch prägnant die wichtigste Forderung an alle Frauen zusammen: Schämt euch für nichts!

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