- Nina Schwarzer
Man lernt nie aus
Immer mehr Menschen entschließen sich, ihren Ruhestand für ein Studium zu nutzen. Während Senioren in größer werdenden Zahlen die deutsche Universitätslandschaft prägen, stelle ich mir die Frage: Warum entscheidet man sich nach einem langen Arbeitsleben für den stressigen Universitätsalltag?
Es ist das Wintersemester 2019 und ich sitze in einer Vorlesung. Es gibt keine Anwesenheitspflicht und so verkleinert sich die Gruppe der Zuhörer*innen mit jeder Woche etwas mehr. Während sich die Zahl meiner Kommiliton*innen stetig verkleinert, fällt mir eine Gruppe Studierende besonders ins Auge. Jede Woche sind sie da, sind interessiert und stellen Fragen, deren Antworten sie auf einem Notizblock aufschreiben. Besonders verwundert mich jedoch, dass meine Mitstudierenden im Alter meiner Großeltern zu sein scheinen.
Ich beginne ein wenig nachzuforschen und lerne dabei einen vollkommen neuen Teil der Universität kennen. Ein Teil, in dem die Motivation für ein Studium einfach nur die Lust am Lernen ist. Seit 1989 bietet die Universität zu Köln Senior*innen die Möglichkeit an Vorlesungen und Seminaren teilzunehmen. Orientiert am Gasthörerwesen, wird hier kein Abschluss angestrebt. So ist allein das persönliche Interesse Anlass für das Belegen einer Veranstaltung und kein Modulplan. Auch wird mir klar, dass das Seniorenstudium viel mehr zu umfassen scheint als das bloße Besuchen der Seminare. Es gibt zahlreiche zusätzliche Veranstaltungen, Vernetzungsmöglichkeiten und einen Förderverein, der sich für die Belange der Senior*innen im Gasthörerwesen einsetzt.
Über den Förderverein lerne ich Helmut Weiss kennen. Er studiert bereits seit neun Jahren an der Universität zu Köln und ist ein engagiertes Mitglied des Fördervereins und der DENNIS e.V, dem deutschen Netzwerk der Interessenvertretung von Senioren-Studierenden. Freundlicherweise willigt er ein, sich mit mir zu treffen, um mir all meine Fragen rund um das Seniorenstudium zu beantworten. Wir treffen uns im Phil Café und er beginnt mir von sich zu erzählen. Nach einer vom Krieg geprägten Jugend, gab es für ihn keine Möglichkeit das Abitur zu machen und somit war auch ein Studium ein weitentfernter Traum. Erst Jahre später holte er auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur nach und arbeitete international als Ingenieur. Sein Leben war geprägt von Neugier und der Lust zu lernen. Es ist diese Neugier, die ihn 2011 dazu bringt, seine erste Veranstaltung im Rahmen der China Studien zu belegen. Über die Jahre änderten sich die Fächer, doch die Begeisterung für das Lernen im Alter blieb. „Es ist eine tolle Sache, sich dann nochmal mit Dingen beschäftigen zu dürfen, mit denen man im Berufsleben keinen Kontakt hatte,“ verrät mir der 81-Jährige. Auch sein Umfeld hätte positiv auf seine Entscheidung zum Gasthörerstudium reagiert. Besonders seine Kinder seien sehr stolz auf ihren aktiven Vater. Negative Kommentare kämen hingegen vermehrt von Gleichaltrigen, da viele denken, dass ein Studierender des Gasthörerstudiums einem Regelstudierenden den Platz nimmt. Doch das sei schlicht ein weitverbreiteter Irrglaube. Kurse, die bereits an ihrer Kapazitätsgrenze wären, seien für Gasthörer gesperrt. Außerdem würden sich die meisten Kurse sowieso nach den ersten Wochen verkleinern, erzählt mir Helmut Weiss mit einem Augenzwinkern.

Einen gewöhnlichen Ruhestand kann sich Helmut Weiss nicht mehr vorstellen, da das Gasthörerwesen so viele Vorteile bietet. Die Gemeinschaft habe schon viele aus der altersbedingten Einsamkeit geholt und ist eine willkommene Ablenkung von den schweren Themen des Alltags. „In den Kreisen, in denen wir uns bewegen, da wird nicht über Krankheit gesprochen, das ist kein Thema. Wenn ich in anderen Kreisen, in meiner Altersgruppe bin, da ist das Thema nur Krankheit.“ Ein weiterer Vorteil des Gasthörerstudiums sei zudem, dass man aktiv und fit bleibt. Denn neben den regulären Veranstaltungen haben die Senior*innen noch zahlreiche weitere Möglichkeiten, sich an der Universität zu engagieren. In Arbeitskreisen wird die Forschung der Universität unterstützt und in Projektgruppen stellen die Seniorenstudierenden eigene Projekte auf die Beine. Hierbei sind dem Interesse keine Grenzen gesetzt, so gibt es Gruppen zum Thema Lernen im Alter sowie zur Kölner Stadtgeschichte. Zusätzlich bereichern zahlreiche Exkursionen den Semesteralltag.
Als Helmut Weiss mir die verschiedenen Möglichkeiten des Gasthörerstudiums vorstellt, wird deutlich, wie bereichernd dieser Austausch an der Uni für ihn zu sein scheint. Doch es ist ihm auch wichtig etwas zurückzugeben. „Es ist ein Geben und Nehmen“, verrät er mir. Die Senioren im Gasthörerwesen sehen ihre Aufgabe darin, eine Brücke zwischen Stadtbevölkerung und Universität zu schlagen. „Wir versuchen die Uni als Teil der Stadt zu präsentieren. Und auch durch Vorträge, die wir halten, gibt es sehr viel Aufmerksamkeit und Interesse von Leuten, die die Uni bislang als etwas sehr Isoliertes betrachtet haben.“ Neben dem Ruf der Universität, profitieren jedoch auch Regelstudierende von dem Einsatz der Senior*innen. Im Rahmen eines Karrierecoachingprogramms teilen die Studierenden im Ruhestand ihr berufliches Fachwissen. Egal ob Zweifel an ihrer Berufs- und Studienwahl bestehen oder Unsicherheiten, welche weiteren Schritte für die Berufslaufbahn sinnvoll sind. So profitieren auch die restlichen Studierenden kostenlos von der Lebenserfahrung ihrer Kommilitonen.

Seit dem Wintersemester 2019 ist allerdings viel passiert. Nach über einem Jahr spreche ich erneut mit Helmut Weiss, um zu erfahren, wie es den Seniorenstudierenden seit der Schließung der Universität ergangen ist. „Anfang März bekamen wir die Schocknachricht, dass die Senioren vom Sommersemester ausgeschlossen sind“, erzählt er mir. Von einem Tag auf den anderen, waren die Seniorenstudierenden vom Universitätsbetrieb ausgeschlossen. Dies war nicht nur ein Schock für die Senior*innen, sondern auch für die Koordinationsstelle des Seniorenstudiums. Es mussten Lösungen gefunden werden, um den Senior*innen weiterhin das Lernen im Alter zu ermöglichen. Was folgte, war ein stilles Semester und ein langsames Herantasten an die neue Normalität. Nach Wochen des Ausschlusses vom Lehrbetrieb, entstanden einige Online-Angebote, für die Senior*innen, die noch eingeschrieben waren. Hilfsangebote vom Förderverein standen zudem zur Verfügung, um Zoom zu erklären und bei Fragen zu unterstützen. Nun, zu Beginn des Wintersemesters ist Helmut Weiss optimistisch, dass viele der Senior*innen für den online Lehrbetrieb gewappnet sind. Dennoch gibt es einen Anteil von ca. 20%, die keinen Anschluss an digitale Medien finden konnten. Besonders für diese Student*innen bemüht sich der Förderverein um Präsenzveranstaltungen außerhalb der Uni. Bislang stand diesem Plan noch der Lockdown im Wege. Die Senior*innen hoffen nun darauf sich bald mit einem Hygienekonzept und Abstand wiedersehen zu können.
Als ich die Seniorenstudierenden in meiner Vorlesung sah, fragte ich mich: „Warum entscheidet man sich nach einem langen Arbeitsleben für den stressigen Universitätsalltag?“ Jetzt, nachdem ich mehr über das Seniorenstudium gelernt habe, frage ich mich viel mehr, wieso man sich nicht für ein Seniorenstudium entscheidet. Es ist eine wundervolle Möglichkeit, um nach einem Leben voll Aufgaben und Deadlines nicht orientierungslos zu werden. Selbst, wenn die Zeiten so schwer sind, wie im Vergangenen Jahr, dominiert bei den Senior*innen der Wunsch zu lernen und Teil der Gemeinschaft zu sein. Je mehr ich mich mit dem Gasthörerstudium beschäftigt habe, desto mehr war ich begeistert von dem Konzept. Wir Studierenden profitieren von der Lebenserfahrung und der Motivation der Senior*innen und die Senior*innen profitieren von den sozialen Kontakten und den Angeboten der Uni. Ich kann zum Schluss wirklich nur noch so viel sagen: Ich freu mich schon darauf eure Enkelkinder in den Vorlesungen zu sehen!