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  • Lukas Rosendahl

Mit Kindern in der Zoom-Vorlesung

Studentin, Intensivkrankenschwester, Mutter. Sandy Kollath muss nicht nur Uni und Kinder unter einen Hut bekommen, weil in der Pandemie ist die ganze Familie zu Hause war. Nebenbei hat sie auch noch Schichten auf der Intensivstation gemacht.


Sandy Kollath kommt mit nassen Haaren vor die Zoom-Kamera. Es ist 20 Uhr, ein Donnerstagabend Ende Mai. Langsam wird es ruhiger im Hause Kollath. Die Kinder liegen zwar noch nicht im Bett, aber Sandy ist zuversichtlich, dass wir jetzt etwas Zeit haben, um in Ruhe über sie und ihren Alltag im Home-Studium zu sprechen.

Aber was heißt schon Alltag? Für Sandy war in den vergangenen Monaten kein Tag wie der andere. Im Leben der 34-Jährigen treffen so viele Welten aufeinander, dass es fast unmöglich ist, Struktur in ihren Tagesablauf zu bekommen, das sagt sie selbst. Sandy ist Mutter, Medizinstudentin im fünften Semester. Und Krankenschwerster für Intensivpflege.

Im Jahr 2008 ist sie für die Ausbildung zur Intensivkrankenschwester von Berlin nach Köln gezogen. Sie hat einen Job gefunden und mit Ehemann Andre Kollath eine Familie gegründet. Die beiden haben heute zwei Kinder. 2017 nutzte sie dann die Elternzeit nach der Geburt ihrer zweiten Tochter, um sich in Köln auf einen Studienplatz für Medizin zu bewerben. Davon hatte sie seit der siebten Klasse geträumt.

Es klappte. Gerade hat sie ihr Physikum bestanden, auch Vorklinik genannt, bei dem es um theoretische Grundlagen geht. Den praktischen Teil des Physikums hatte sie zum Glück schon vor der Pandemie absolviert. Also konnte sie im vergangenen Jahr ausschließlich im Homeoffice studieren.

Die Kollaths wohnen in einem Haus am südlichen Stadtrand von Köln. Sandys Schreibtisch steht im Keller. Neben ihr hängt eine Pinnwand mit selbstgemalten Bildern der Töchter Linda* und Sofia*. Auf einem kleinen Stuhl sitzt Linda manchmal neben ihr, wenn sie Hausaufgaben macht. Das pinke Pferde-Federmäppchen liegt noch herum. Hinten steht der Schulranzen.

Linda ist sieben und besucht die erste Klasse. Sofia ist vier und geht in den Kindergarten. Seit Beginn der Pandemie sind die beiden aber meist zu Hause. Sandy und ihr Mann Andre betreuen ihre Töchter seit eineinhalb Jahren die meiste Zeit selbst.

„Die Kinder dürfen immer zu mir kommen. Sie sind erste Priorität“, sagt Sandy. Das Online-Studium macht es ihr da manchmal sogar leichter. Niemand kann sie aus dem Zoom-Meeting werfen, weil ihr Kind zu laut ist. In Präsenzveranstaltungen an der Uni ist ihr das schon passiert. Außerdem kann sich die Studentin ihre Zeit im Homeoffice freier einteilen, und die Fahrtwege zur Uni fallen weg. Sie lernt fünf bis sechs Stunden am Tag. Ein freies Wochenende hat sie selten.

Auch Sandys Mann Andre arbeitet seit April 2020 von zu Hause, in demselben, improvisierten Keller-Büro wie seine Frau und Grundschülerin Linda. Beide Eltern haben regelmäßig Meetings, bei denen sie ihre Webcams einschalten müssen. Es kann dann vorkommen, dass eins der Kinder nach Mama oder Papa ruft, oder die Töchter sich zoffen, wer den letzten Schokoriegel gegessen hat. Manche Dozent:innen unterbrechen die Vorlesung, wenn sie merken, dass Teilnemer:innen auch nur die Lippen bewegen, sagt Sandy. Sie spricht deshalb manchmal nur noch mit der Hand vor dem Mund mit den Töchtern.

Außerdem macht sie sich Sorgen wegen der bald anstehenden Online-Prüfungen. Die Regeln dafür kann sie eigentlich nicht einhalten. Keine andere Person darf in dem Raum sein, in dem sie die Klausur schreibt. Die Prüflinge müssen ihre Mikrofone eingeschaltet lassen. Sandy selbst würde es nicht stören, wenn ihre Kinder auch während der Klausur mal laut sind – ihre Kommiliton:innen vermutlich schon. Sie will den Prüfer:innen das Problem schildern und hofft auf Verständnis. „Wenn ich dann rausfliege, dann falle ich halt durch die Klausur“, sagt Sandy.

Eine Zeit lang hat Sandy versucht, all ihre Termine fein säuberlich in einen Kalender einzutragen. Mit verschiedenen Farben, eine für jedes Familienmitglied. „Mir ist aber schnell klar geworden, dass feste Strukturen einfach nicht funktionieren“, sagt sie. Erst gerade kam eine Mail von der Uni, dass die Klausur zur klinischen Chemie jetzt doch im Hörsaal geschrieben wird. Ausgerechnet an dem Tag muss Andre aber ins Büro, um eine neue Mitarbeiterin einzuarbeiten. Schwiegereltern und Freundin sind im Urlaub, es sind Sommerferien. Sandys Dozent besteht darauf, dass sie sich einen Babysitter organisiert. Erst, wenn wirklich nichts mehr geht, will er beim Dekanat anfragen, ob Sandy ihre Tochter zur Klausur mitbringen darf. Planung ist so nicht möglich. Im Homeoffice organisiert sich die Familie gezwungenermaßen eher spontan.

Wenn überraschend Zeit frei wird, machen Sandy und ihr Mann halt Dinge, die gerade erledigt werden müssen. Eine feste Regel hat sich die Studentin aber doch gegeben: Bis spätestens Sonntag müssen alle Univeranstaltungen abgearbeitet und zusammengefasst sein. Ihr Motto: „Wenn du zu viel aufschiebst, bist du sofort raus“.

Ende März 2020 hat sich die ausgebildete Intensivkrankenschwester in allen Krankenhäusern der Umgebung gemeldet, um im Kampf gegen Corona zu helfen. Sie macht jetzt im Schnitt an zwei Tagen im Monat Schichten, nennt sich „Hobbyschwester“. „Immer wenn ich mal weg vom Schreibtisch muss, mache ich Dienste. Dann bin ich froh, mal nicht Mutter oder Studentin sein zu müssen.“

Und so ist Sandy Mutter, Studentin, Lehrerin, Erzieherin, Krankenschwester – und oft alles gleichzeitig. „Manchmal habe ich das Gefühl, ich mache ganz viel, aber nichts so richtig“, sagt sie. Dann läuft Sandy gerne eine Runde um die Felder direkt vor der Haustür oder fährt mit ihren Inlinern. Außerdem setzt sie in den stressigen Zeiten klare Prioritäten. Denn auch wenn ihre ältere Tochter Linda gerne selbständig arbeitet, wird sie doch traurig, wenn sie den ganzen Tag allein mit ihren Hausaufgaben verbringt. Also setzten sich Mutter und Tochter oft zusammen in den Keller und lernen gemeinsam. Die eine Anatomie, die andere die Vokale.


*Namen auf Wunsch geändert

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