- Alexa Küppers
Nach dem Bachelor in die Prostitution
Die Corona-Pandemie hat die Diskussion um Prostitution wieder angestoßen. Soll Sexkauf verboten werden oder sollten Frauen die Freiheit haben, sich zu prostituieren? Unter Feministinnen gibt es verschiedene Standpunkte – so auch bei Lena Teschlade, die mit Prostituierten gearbeitet hat und Vanessa Rubin, die selbst nach dem Bachelor in die Prostitution ging.
Ein Mann Mitte vierzig und eine junge Frau sitzen zusammen im Restaurant. Mit einem Glas Weißwein stoßen sie auf den gemeinsamen Abend an. Sie sprechen über die Uni. Er ist Professor und erzählt von den Vorlesungen, die er heute vorbereitet hat. Sie hat vor einiger Zeit ihren Bachelor beendet und überlegt gerade, welchen Masterstudiengang sie wählen möchte. Die Unterhaltung ist locker, nicht zu persönlich, aber auch nicht unangenehm. Obwohl die beiden sich gerade erst zum ersten Mal sehen, wirken sie vertraut. Nach dem Essen geht es nach Hause. Er hat schließlich nur drei Stunden mit der jungen Frau gebucht und die beiden haben noch etwas anderes vor.
So beschreibt Vanessa ein Treffen mit einem Kunden.[1] Vanessa Rubin, das ist ihr Arbeitsname. Die sympathische junge Frau ist 26 Jahre alt und kommt aus dem Ruhrgebiet. In Mecklenburg-Vorpommern hat sie ihren Bachelor in Soziale Arbeit absolviert, war danach als Backpackerin unterwegs und wohnt jetzt vorübergehend wieder bei ihren Eltern. Neben der Suche nach einem Masterstudiengang pflegt sie ihre Großtante, betreut das Kind einer Freundin, hilft ihrer Mutter und trifft Freund*innen. Außerdem jobbt sie zweimal wöchentlich als Prostituierte. Über die Website kaufmich.de können Männer Vanessa schreiben, wenn ihnen ihr Profil gefällt. Ihr Profil, das sind ihre Angebote und ihre „No-Gos“. Zeitverbringen mit Vanessa hat einen Pauschalpreis und eine Mindestbuchungszeit von zwei Stunden. „Ich will für sowas Zeit haben, damit wir uns erst mal kennenlernen können und alles ganz entspannt abläuft“, erklärt Vanessa im Interview mit der KSZ. Besondere Leistungen kosten bei ihr nicht extra: „Ich schreibe natürlich, was grundsätzlich möglich ist und das ist dann auch alles möglich, wenn ich Lust ‘drauf habe, und wenn ich keine Lust ‘drauf habe, dann halt nicht“.
Im Studium begann Vanessa, sich mit dem Thema Sexarbeit zu beschäftigen. Der Titel ihrer ersten Hausarbeit: Soziale Arbeit im Kontext weiblicher Prostitution. Das Thema Sexarbeit habe sie spannend gefunden, erzählt Vanessa: „Aber das war für mich nichts, was ich machen könnte, weil: Das macht man doch nicht!“ Als sie ihre Bachelorarbeit schrieb, stieß sie im Internet auf ein Interview mit Ilan Stephani, die während ihres Bachelors freiwillig für zwei Jahre in einem Bordell gearbeitet hat. Stephanis Weltanschauung faszinierte Vanessa: „Ich habe gesehen, dass auch Frauen wie ich das machen können und dass das irgendwie okay ist“. Mit einem neuen Blickwinkel recherchierte sie weiter und entschied sich letztendlich, selbst die Sexarbeit auszuprobieren.
Bei der Frage nach ihrer Motivation lacht sie: „Also ich meine, Sex macht mir Spaß und ähm … ich glaube, ich kann das auch gut“. Damit meine sie nicht unbedingt den Sex, sondern die Fähigkeit, eine intime Atmosphäre mit einem Kunden aufzubauen, den sie gerade erst kennengelernt hat. Das sei ähnlich zu One-Night-Stands und sei ihr daher auch nicht fremd: „Als Single bin ich auch vorher schon mal abends in der Disco mit jemandem mitgegangen und so, also das ist jetzt nichts Neues für mich, mit jemand Fremden mit in die Wohnung zu gehen, um mit dem Sex zu haben“. Anders als bei One-Night-Stands hat sie jetzt aber eine WhatsApp-Gruppe mit Freund*innen, die von ihrem Beruf wissen und denen sie Bescheid gibt, wo sie ist. Eine*r der Freund*innen übernimmt dann die Verantwortung, darauf zu achten, dass Vanessa sich später wieder von zuhause aus meldet.
Die meisten von Vanessas Freund*innen sind über ihre derzeitige Berufswahl informiert und akzeptieren ihre Entscheidung, erzählt sie. Doch es gebe auch einige Bekannte, die dies für falsch hielten und einige, denen sie es bewusst nicht erzählt habe. Als Prostituierte könne sie nicht so offen arbeiten, wie Menschen anderer Berufsgruppen, weil sie mit Stigmatisierung und Diskriminierung rechnen müsse. Für oder gegen Prostitution und Sexkauf – das ist eben auch eine politische Sache. Vanessa setzt sich als Teil der Hurenbewegung im Berufsverband Sexarbeit für einen offeneren Umgang mit Arbeiterinnen ihrer Branche ein. Unter dem Motto „Sexarbeit ist auch Arbeit“ hat sie am Weltfrauentag in Rostock eine Rede gehalten, in der sie sich unter anderem gegen das Sexkaufverbot aussprach, für das sich einige Politiker*innen einsetzen: „Die Logik der Freierbestrafung ist nicht in erster Linie ‚wir müssen die Frauen unterstützen, die diesen Beruf ausüben‘ sondern ‚Sexarbeit ist unmoralisch und sollte nicht stattfinden‘“, meint Vanessa darin. Frauen würden in Hure und Heilige, gut und schlecht eingeteilt, erklärt sie. Die Schlechte sei die, „die all das bricht, die nicht alles nach außen hin schön wirken lässt, die – um Gottes Willen – eigene sexuelle Bedürfnisse hat – was schon geil ist und ab und zu mal benutzt werden kann – aber halt nicht als Freundin oder Frau zu Hause. Und wehe die eigene Tochter gehört dazu. Ich bin in dem Szenario natürlich ganz offensichtlich die Schlechte und damit habe ich mir jeden Respekt, der einem Menschen entgegengebracht werden könnte, verspielt“. Ihre Einstellung zur Prostitution beschreibt Vanessa als feministisch und sexpositiv, obwohl sie dabei keinesfalls abstreiten wolle, dass es drastische Missstände in ihrem Berufsfeld gebe.
Eine, die für die Rechte für Frauen der Frauen kämpft, die unter diesen Umständen leiden, ist Lena Teschlade. Auch sie hat Soziale Arbeit studiert und vertritt einen ebenfalls feministischen Blick auf Prostitution. Auch sie hat zu dem Thema Reden gehalten, unter anderem auf dem Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen in Mainz: „Die Frauen, die in der Prostitution sind, haben häufig keine alternativen Einkommensmöglichkeiten“, erklärt sie dort. Daher seien diese Frauen zur Prostitution gezwungen. Es arbeiteten überwiegend Frauen in der Prostitution und wahrscheinlich sei das Thema auch aus diesem Grund weniger relevant, erklärt Lena weiter.
Lena hat ihre Masterarbeit über Empowering von Roma-Frauen geschrieben. Dabei stellte sie mit Schrecken fest, dass viele Roma-Frauen aus Bosnien und Herzegowina nach Deutschland in die Prostitution verkauft werden. Wie groß die Zahl der Frauen ist, die in Deutschland zum Sex mit Freiern gezwungen werden, ist nicht bekannt. Denn Menschenhandel und der Zwang zur Prostitution sind illegal und die Frauen meist nicht registriert. Verschiedene Schätzungen gehen allein in Deutschland von zehntausenden bis hunderttausenden Frauen aus, die zur Prostitution gezwungen werden. Auch das Bundeskriminalamt schätzt das „Ausmaß des Dunkelfelds“ als „sehr hoch“ ein.
Die sexuelle Ausbeutung von Frauen – das wollte Lena nicht hinnehmen. Nach ihrem Studium hat sie in Bonn eine Beratungsstelle für von Menschenhandel betroffene Frauen aufgebaut und geleitet: „Dabei hat sich schnell herausgestellt, dass sich Menschenhandel und die sogenannte Armutsprostitution nicht voneinander trennen lassen“, erklärt Lena. Bei der Armutsprostitution müssen Menschen sich prostituieren, um ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können. Einige haben eine Familie im Ausland, die sie finanzieren müssen und wurden unter falschem Vorwand oder mit falschen Vorstellungen nach Deutschland gelockt – wo ihnen wohlmöglich auch noch der Pass abgenommen wurde. Die Frauen in der Armutsprostitution haben keine alternativen Einkommensmöglichkeiten und erfahren oft tagtäglich Gewalt.
Weil Menschenhandel und Prostitution so oft zusammenhängen, setzt Lena sich auch jetzt noch ehrenamtlich in der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen der SPD und mit der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes für ein Sexkaufverbot ein. Bei einem solchen Verbot wäre es legal, Prostitution anzubieten. Allerdings wäre es illegal, dieses Angebot wahrzunehmen, also Freier*in zu sein. Dadurch würde es voraussichtlich weniger Freier*innen und Prostituierte geben. Das Gesetz beträfe aber nicht nur die Frauen in der Zwangs- und Armutsprostitution: „Es gibt natürlich auch Frauen, die das freiwillig machen, gerade auch im Escortbereich“, sagt Lena. Sie habe auch schon mit solchen Frauen gesprochen: „Viele von denen sagen, dass man irgendwann seinen ‚Ekelfreier‘ hat und dann aufhört, weil man es nicht mehr kann“. Und selbst wenn nicht: Die meisten Menschen in der Prostitution steckten mindestens in einer ökonomischen Zwangslage und das sei keine freiwillige Prostitution. Hier sei es für sie wichtiger, sich für die größere Gruppe einzusetzen, die sich aus Armutsgründen prostituieren müsse. Kein Gesetz könne die ganze Gesellschaft berücksichtigen, sondern immer nur die Mehrheit.
Bei den Verboten von Prostitution, die die Bundesländer zu Beginn der Coronapandemie anordneten, fehlten vielen Sexarbeiter*innen ausreichend Hilfsangebote und alternative Verdienstmöglichkeiten. Besonders hart traf es jene, die hohe Mieten zahlen oder Schulden begleichen müssen. Einige wurden dadurch in die Illegalität getrieben und mussten den Preisforderungen der wenigen Freier nachkommen. Dass die Gesetze wieder gekippt wurden, hält Lena jedoch für einen schlechten Ansatz. Die Politik hätte stattdessen finanzielle Unterstützung bieten können, „aber man hätte die Krise auch nutzen können, um den Menschen Ausstiegs-Angebote zu machen und Alternativen zu schaffen“, findet sie.
„Sex ist unbezahlbar“ oder „Sexarbeit ist auch Arbeit“ – es ist ein Kampf feministischer Positionen, bei dem bisher noch keine*r so Recht gewonnen hat. Durch die Corona-Pandemie scheinen sich weder die gesellschaftliche Sichtweise auf Prostitution noch die langfristige politische Lage deutlich verändert zu haben. Angestoßen durch die aktuelle Diskussion hat Lena jedoch festgestellt, dass doch mehr SPD-Mitglieder als gedacht gegen Sexkauf sind. Sie und andere Parteimitglieder haben jetzt das „Netzwerk Pro Sexkaufverbot in der SPD“ gegründet – eine basisdemokratische Bewegung innerhalb der Partei. Vanessa hat sich wegen Corona inzwischen einen Job in der Sozialen Arbeit gesucht. Die 30-Stunden-Woche sei für sie aber kaum mit ihrem Masterstudium vereinbar. Deshalb möchte sie – sobald sich die Corona-Situation entspannt hat – wieder in die Sexarbeit einsteigen.
Sexarbeit – Die rechtliche Situation
In Deutschland ist Prostitution grundsätzlich legal, nur der Zwang zur Prostitution ist illegal. Seit 2001 ermöglicht das „Prostitutionsgesetz“ Sexarbeiter*innen, ihr Gewerbe offiziell anzumelden und somit arbeitslosen-, kranken- und rentenversichert zu sein. 2017 wurde das Prostituiertenschutzgesetz verabschiedet, das Prostituierte dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen und regelmäßig zum Gesundheitsamt zu gehen. 32.800 Prostituierte waren laut Statistischem Bundesamt Ende 2018 offiziell angemeldet. Die Dunkelziffer wird mindestens genauso hoch geschätzt. In Schweden hingegen gibt es seit 1998 ein Sexkaufverbot.
[1] Dieser Teil des Artikels bezieht sich auf die Zeit vor der Coronapandemie