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  • Alice Beckmann Petey (Kölner Journalistenschule)

Studierendenporträt Isabell Zintl

Telefonieren möchte Isabell Zintl nicht. Sie bevorzugt Videocalls, weil sie dort Lippen lesen kann. Die 24-Jährige ist hörgeschädigt, Rollstuhlfahrerin und Studentin an der Uni Köln, sie macht ihren Bachelor in Dolmetschen für Deutsche Gebärdensprache. „Im letzten Semester sind für meinen Studiengang fast alle Kurse ausgefallen. In diesem Semester haben wir daher Präsenzunterricht beantragt“, sagt sie in ihre Webcam. Denn auch viele Kommiliton*innen und Lehrende sind hörgeschädigt. Aus diesem Grund müssen Vorlesungen aus ihrem Studiengang anders konzipiert werden als für Studierende ohne Hörschädigung: „Gebärdensprache ist zum Beispiel ein Kurs, der nur in 3D funktioniert. Das kann man vor dem Bildschirm nicht richtig lernen“, erklärt sie. Die Uni bewilligte den Antrag - Isabell kommt nun dreimal in der Woche für ihre Gebärdensprache-Vorlesung aus Gummersbach an die Uni.


Es ist ein Kampf gewesen, aber sie freut sich sehr über die Möglichkeit, einen ihrer Kurse analog zu besuchen. Dem Homeoffice kann sie nicht viel abgewinnen. „Der einzige Vorteil ist, dass ich die Pendelzeit einspare. Die zwei Stunden kann ich dann mit meinem Sohn verbringen“, sagt sie. Er ist zwei Jahre alt, und Isabell freut sich, dass Corona auf seinen Tagesablauf keine großen Auswirkungen hat. Anders als bei ihr. „Wir sind auf Lippenlesen angewiesen, deshalb sind hängende Bilder wegen schlechter Internetverbindung sehr ermüdend. Wir müssen uns anders konzentrieren als Menschen ohne eingeschränktes Hörvermögen.“ Das führt bei ihr und anderen Kommiliton*innen zu Migräne, weswegen auch die Kurszeiten gekürzt werden mussten. Alles Dinge, die in Präsenz nicht passieren würden. „Es fällt einfach zu viel Lehre weg. Zwar gibt das Lehrpersonal an unserem Institut sein Bestes, aber wir werden eben auf höheren Verwaltungsebenen nicht mitgedacht“, erklärt Isabell. „Wir müssen immer einen Extraweg beantragen.“



Als Beispiel erzählt sie von ihrem Weg zum Vorlesungssaal während der Pandemie. Die Studentin fährt mit dem Auto zur Uni: „Da wo ich parken kann gibt es einen Gebäudeeingang, den sie jetzt aber geschlossen haben. Zum einzig offenen Eingang brauche ich zehn Minuten statt drei.“ Anstrengend sei das ¬ obwohl sie stark definierte Oberarmmuskeln hat. Kommilitonen könnten sie schieben, doch das sei ihr auch wegen Corona zu heikel. „Und dann kommt auch noch der Aufzug, den ich nehmen muss, das ist leider auch alles schlecht geregelt“, sagt sie. Er lasse sich nur mit einem Schlüssel bedienen, weswegen sie sich mit dem Hausmeister absprechen müsse. Noch mehr Gespräche, noch mehr Anträge, noch ein Extraweg.


Trotzdem macht sie weiter. Denn wenn sie eins gelernt habe, dann ist das Durchhaltevermögen. Mit 15 Jahren fingen Isabell Hörbeschwerden an, zeitgleich wurde das Laufen schwerer. Ärzte vermuten Boreillose als Ursache. Eine schwere Zeit, aber Isabell lernt auch durch die Krankheit, für sich einzustehen: „Ich bin als Mensch mit Barrieren eben Teil einer Bubble geworden, für die ich mich einsetzen möchte“, sagt sie. So wurde sie auch in ihrer Fachschaft aktiv: „Durch diese Arbeit bin ich näher an Entscheidungen dran und kann versuchen, andere Perspektiven mit einzubringen.“

Zum Beispiel habe sie erwirken können, dass Assistenzhunde in Vorlesungen zugelassen werden. Sie selbst hat eine Hündin, die ihr auch im Homeoffice beisteht. „Was für andere banal klingt ist für uns wichtig,“, sagt sie. „Wir werden oft vergessen, und das ist auch in der Pandemie leider nicht anders.“ Sie will sich weiterhin für mehr Präsenzunterricht einsetzen, ­ unter allen gesetzlichen Auflagen versteht sich.


Dabei überlegt die Uni derzeit, den einzigen Präsenz-Kurs wieder online laufen zu lassen. Als Grund nennt sie die steigenden Fallzahlen. Bis dahin darf Isabell aber noch weiter nach Köln pendeln. Zum Ende des Videocalls geht sie noch ihren Sohn wecken, der wohl am meisten vom Homeoffice seiner Mutter profitiert. „Dann kann er noch kurz hallo sagen“, sagt sie und schiebt sich dabei auf ihrem Bürostuhl mit den Füßen aus dem Webcam-Bild. Lasse spielt mit den blonden Haare seiner Mutter und ist Geschehen auf dem Bildschirm sichtlich unbeeindruckt; entspannt lehnt er seinen Kopf an ihre Schulter. „Er kann auch Gebärdensprache“, fügt sie stolz an. „Für ihn ist das einfach ganz normal.“


 

Steckbrief

Wo studierst du?

An der Uni Köln.

Was? Welches Semester?

Ich studiere Dolmetschen für Deutsche Gebärdensprache im dritten Semester.

Was vermisst du am meisten?

Die Präsenz-Vorlesungen.



Eine Kooperation mit Student*innen der Kölner Journalistenschule unter Leitung von Ismene Poulakos

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